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Meinung – Rechtsextreme Chatgruppen bei der Polizei

Raimund Schorn-Lichtenthäler - ein Kommentar

Landes-Innenminister Reul behandelt den Skandal um rechtsextremistische Chatgruppen in der NRW Polizei immer noch als isolierten Fall, zieht keine Verbindungen zu ähnlich gelagerten Fällen von Gruppen Rechtsextremer innerhalb der Polizei in Frankfurt am Main, Offenburg und München, sieht kein Strukturproblem in der Polizei.

Bundesinnenminister Seehofer schweigt sich lautstark aus, er selbst sieht ja keine Veranlassung tätig zu werden und der dringenden Empfehlung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) zu folgen und eine unabhängige Studie zu Rassismus bei der Polizei in Auftrag zu geben. Seehofers Begründung im ARD-Morgenmagazin: „Wir können nicht jede Woche ein Wünsch-Dir-was spielen“. Er betonte weiter: „Ich erkenne weder im öffentlichen Dienst noch bei der Bundespolizei diesbezüglich ein strukturelles Problem.“

Seehofer lässt über einen Sprecher des Innenministeriums am 14.06.2020 verlautbaren, er halte eine Studie unverändert nicht für sinnvoll. „Wir werden eine solche Studie, wie ECRI sie empfohlen hat, nicht in Auftrag geben“, sagte der Sprecher des Innenministeriums der dpa.

Das Innenministerium begründete Seehofers Entscheidung unter anderem damit, dass Racial Profiling in der polizeilichen Praxis verboten ist. Das gelte im Besonderen für die Bundespolizei. „Insbesondere Personenkontrollen müssen diskriminierungsfrei erfolgen“, teilte ein Sprecher mit. „Weder die Polizeigesetze des Bundes noch die einschlägigen Vorschriften und Erlasse erlauben eine solche Ungleichbehandlung von Personen.“ 

Na wenn’s doch verboten ist, dann ist alles gut. Übrigens liebes Innenministerium, Bankraub, Betrügen, Stehlen und all die anderen schlimmen Sachen, alles verboten in Deutschland. Wozu dann also überhaupt noch eine Strafverfolgung, eine Polizei?  Rechtsbrecher, insbesondere Rechtsextremisten werden sich doch wohl noch an Verbote halten können.

Die Liste der rechtsextremistischer Vorfällen und Gruppen innerhalb der Polizei wird lang und länger. Längst wird deutlich: die haben die Lage nicht mehr im Griff. Und zwar deswegen nicht, weil ein wirkliches Interesse den Saustall auszumisten nicht existiert. Warum wohl boykottiert Seehofer eine Studie, die selbst von Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter gefordert wird. Seehofer hat kein wirkliches Interesse an Aufklärung. Und Landesinnenminister Reul fällt erst aus seinem Dornröschenschlaf, als ignorieren nicht mehr funktioniert. Der für die NRW-Polizei verantwortliche Minister kann eine rechtsextremistische Chatgruppe erst nach Jahren ihrer Existenz aufdecken. Ja wo sind wir denn? Blindheit auf dem rechten Auge im Dienst gehört mit der sofortigen Demissionierung bestraft!

Um die Dimensionen dieser ungeheuerlichen Zustände begreifen zu können, empfehle ich den Kommentar von Hans Pfeifer, Redakteur der Deutschen Welle vom 17.09.2020. Titel: Rechtsextreme Polizisten - Staatsfeinde in Uniform.


DW  Made for Minds

Datum: 17.09.2020
Deutsche Polizei

Meinung:
Rechtsextreme Polizisten - Staatsfeinde in Uniform

Erneut erschüttert ein Rechtsextremismus-Skandal die deutsche Polizei. Aber die Reaktionen deuten nicht darauf hin, dass die Dimension der Katastrophe von Politik und Polizei ernst genommen werden, meint Hans Pfeifer.

Stellen wir uns einmal folgendes Szenario vor: Der Innenminister des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes tritt vor die Presse. Er habe eine schockierende Nachricht mitzuteilen: Aufgeflogen sei ein großes Netzwerk an Extremisten bei der Polizei. 29 Männer und Frauen seien suspendiert worden. Und alle 29 seien Anhänger des Terrornetzes des "Islamischen Staates". In ihrer Chatgruppe hätten sie die menschenverachtende und gewaltverherrlichende Propaganda der Islamisten geteilt. Und das unentdeckt seit acht Jahren.

Bereits im Vorfeld hätte die deutsche Polizei für Schlagzeilen gesorgt, weil es in zahlreichen Behörden IS-Sympathisanten gegeben habe, die von Polizeirechnern aus Morddrohungen an ihre Gegner verschickt hätten. Ein fürchterliches Szenario, das zum Glück so nicht passiert ist. Aber was wäre in Deutschland los gewesen! Bei der Polizei jedenfalls wäre kein Stein auf dem anderen geblieben. Zurecht.

Rechtsextreme Polizisten kein Einzelfall

Im realen Fall von Extremismus bei der Polizei geht es nicht um Islamisten, sondern um Rechtsextremisten. Die 29 suspendierten Männer und Frauen waren Mitglieder einer Chatgruppe, die Hitler-Bilder und übelste rassistische Hetze teilte, und das seit 2012. Ein fürchterliches Szenario - nur das eben leider sehr real.

Und nun? Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen denkt nicht an Rücktritt; Deutschlands oberster Sicherheitshüter, der Bundesinnenminister sagt selbst nichts, sondern lässt sein Ministerium von "Schande" sprechen. Die größte Polizeigewerkschaft GdP denkt öffentlich über Fußball in Corona-Zeiten nach. Und der Chef der angriffslustigen Deutschen Polizeigewerkschaft schimpft über Radwege in Berlin, Jungsozialisten und sinniert über den Sinn der Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland. War da was?

Trotz aller Erschrockenheit und der Bekenntnisse zum rückhaltlosen Aufklären bleibt die Politik erstaunlich unberührt - dafür, dass die Liste an rechtsextremen Netzwerken und Einzelpersonen bei Bundeswehr und Polizei länger und länger wird. Sie alle haben entweder Hitler-Bilder, NS-Symbole, Morddrohungen, rassistische Hetze geteilt oder sogar Waffen und Munition gehortet.

Mehr als nur Protest gegen die Kanzlerin

Und nur zur Klarstellung: diese "Staatsdiener" machen das nicht aus Protest gegen Flüchtlinge oder Bundeskanzlerin Merkel - nein, sie sind Anhänger des völkischen Hitler-Faschismus mit seinem millionenfachen Mord an Juden, Sinti und Roma, politischen Gegnern und Behinderten. Sie sind Staatsfeinde in Uniform.

Jede ernsthafte Aufklärung über Struktur und Ausmaß von Rassismus und Rechtsextremismus in den Reihen der deutschen Polizei ist bislang noch immer gescheitert. Gerade erst hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer eine entsprechende Studie abgelehnt.

Gesellschaftlicher Aufschrei bleibt aus

Dabei ist die Frage des Ausmaßes an Rechtsextremismus bei der Polizei zwar nicht unerheblich aber letztendlich doch zweitrangig. Denn jeder einzelne Fall erschüttert das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheitsbehörden. An wen soll sich denn ein Mensch wenden, der von Neonazis bedroht wird? Der rassistisch beleidigt wird? Etwa an diese Polizei? Und das mit gutem Gefühl? Wohl kaum.

Dass die Politik so routiniert mit den Katastrophenmeldungen aus dem Sicherheitsapparat umgeht, kann am Ende nur einen Grund haben: Es gibt keine ernsthafte Empathie, kein Mitfühlen mit denen, die unter diesen rechtsextremen Verstrickungen der Polizei zu leiden haben. Und das sind vor allem Geflüchtete, migrantische Deutsche, People of Color, und Gegner des Rechtsextremismus. Die Solidarität der Gesellschaft mit diesem großen Teil ihrer selbst bleibt blass. Erschreckenderweise bleibt nur der Aufschrei der Polizei über das Unwesen in den eigenen Reihen noch blasser.

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