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Gabor Steingarts Morning Briefing: Martin Schulz verfälscht die Geschichte
Das Morning Briefing von Gabor Steingart - kontrovers, kritisch und humorvoll. Wissen, über was politisch diskutiert wird.
Heute: Martin Schulz macht auf seinem neuen Posten keine gute Figur.
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
der neue Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung Martin Schulz begeht den 150. Geburtstag von Friedrich Ebert mit einer groben Geschichtsverfälschung. In der heutigen "FAZ" schreibt er:
"Dieser erste Präsident einer deutschen Republik ist einer der wahren Helden der jüngeren Geschichte unseres Landes. Ein Mann, der sein ganzes Leben für Demokratie und Freiheit kämpfte."
Richtig ist: Das Leben von Friedrich Ebert spiegelt die Widersprüchlichkeit einer SPD wider, die sich weder im Kaiserreich noch in der Frühphase der Weimarer Republik zum konsequenten Kampf für die Demokratie entscheiden kann.
- Als Abgeordneter des Reichstages trug Friedrich Ebert den Mehrheitsbeschluss der SPD-Fraktion zur Bewilligung der Kriegskredite mit, obwohl er am Tag der Abstimmung nicht in Berlin war. Mit dem Satz "Wir lassen das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich“, fasste die Fraktion damals ihren Opportunismus zusammen. Damit war der Startschuss für den Ersten Weltkrieg gesetzt.
- Nach dem Ersten Weltkrieg zog Friedrich Ebert noch immer die falschen Lehren. Er war keineswegs der Kämpfer gegen Militarismus und Revanchismus, den Martin Schulz heute aus ihm macht, sondern er war als Reichskanzler der Vorgesetzte jenes Innenministers Gustav Noske, der von sich sagte:
"Einer muss der Bluthund werden."
- Der Historiker Heinrich August Winkler urteilt über Noske:
"Für Noske war die Gewalt nicht die ultima ratio, sondern ein Mittel, das er einsetzte, um ein abschreckendes Exempel zu statuieren. Noske muss man vorwerfen, dass er versäumt hat, gegenüber dem Militär den Primat der Politik durchzusetzen. Dadurch erhielten die Freikorps erst den Spielraum für ihre Gewaltexzesse."
Friedrich Ebert ließ den Bluthund Noske gewähren.
- Nach gescheiterten Verhandlungen mit den aufständischen Matrosen und um die Ausweitung eines Generalstreiks zu verhindern, gab Ebert am 8. Januar 1919 dem Militär den Befehl, den linken Spartakusaufstand, der seit dem 5. Januar in Berlin tobte, niederzuschlagen. Ebert wollte im Bündnis mit der Obersten Heeresleitung die Revolution eindämmen. Am 10. Januar rückten die von Noske um Berlin zusammengezogenen Freikorps in die Stadt ein.
- Damit war die Novemberrevolution, die Ebert zur Kanzlerschaft verholfen hatte, beendet. Am 15. Januar wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Offizieren des größten Freikorps, der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, ermordet. Deren erster Generalstabsoffizier Waldemar Pabst hatte nach eigener Aussage zuvor mit Reichswehrminister Noske telefoniert.
Prof. Winkler sagt über Ebert, dass er und die Seinen allzu sehr "Konkursverwalter des alten Regimes“ gewesen seien:
"Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Volksbeauftragten sich auch als Gründerväter einer Demokratie verstanden hätten."
Fazit: Friedrich Ebert ist und bleibt eine zwiespältige Figur. Er hatte die junge Republik gefestigt – und verraten. Martin Schulz als neuer Chef der SPD-nahen Stiftung sollte sich um ein differenziertes Geschichtsbild, wenn er es nicht besitzt, dann wenigstens bemühen.
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